Manuskripte 2023

Kirchentag in Nürnberg

In dieser Datenbank haben Sie die Möglichkeit, Redebeiträge vom Kirchentag in Nürnberg 2023 einzusehen.

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Sperrfrist
Do, 08. Juni 2023, 11.00 Uhr

Do
11.00–12.00
in Deutscher Gebärdensprache
Ökumenischer Gottesdienst | Gottesdienst
Rede zur Zeit oder zur Unzeit!
Dr. Jürgen Körnlein, ev. Stadtdekan, Nürnberg
Andreas Lurz, röm.-kath. Domkapitular und Stadtdekan, Nürnberg

Begrüßungs- und Begegnungsszene zu Beginn 

Jürgen:

Schön, dass Sie jetzt alle da sind. Herzlich willkommen! 

Ihr hattet ja schon einen Gottesdienst. Und jetzt gleich im Anschluss feiert ihr den nächsten: Das ist sportlich. Wie war es denn am Kornmarkt?

Andreas: 

Du, es war echt schön, es waren viele Menschen da, auch viele Gäste vom Kirchentag. Die Predigt war gut. Thema war: „Geht in alle Welt, ihr sollt ein Segen sein.“ Es hat alles gut geklappt. Und dass es hier jetzt weiter geht, naja so sportlich ist das doch nicht, ich finde es sehr schön. Für mich sind das auch keine zwei Gottesdienste, sondern eher einer, der drüben am Kornmarkt begonnen hat und der jetzt ökumenisch weiter geht, und das mit Christen aus den unterschiedlichen Konfessionen, Traditionen und Prägungen. Das ist doch wunderbar!

Jürgen: 

Stimmt. Aber wenn das ein einziger großer Gottesdienst ist, was ist dann die Verbindung? Habt ihr vielleicht auch etwas mitgebracht, woran wir anknüpfen könnten, das jetzt auch im ökumenischen Teil einen Platz haben könnte?

Andreas: 

Naja, unser Vortragekreuz zum Beispiel? Das hatten wir gerade schon am Kornmarkt am Altar stehen und jetzt steht es ja auch hier am Altar. Dazu die Kerzenleuchter. Ist doch eine gute Verbindung, findest du nicht?

Jürgen: 

Das macht schon was her. Toller Anblick. 

(schmunzelnd) Da müsste man jetzt noch draufschreiben, welche Kerzen katholisch und welche evangelisch sind. Bei einer Monstranz wäre das klarer. Warum habt ihr die eigentlich nicht mitgebracht? 

Andreas: 

Stimmt schon. An Fronleichnam geht es um den Segen, den man in die Welt hinaustragen will. Aber hier her in den Gottesdienst? Vielleicht etwas zu katholisch.

Jürgen:

Warum eigentlich nicht. Aber habt ihr nicht irgendetwas, was den Segen, den ihr in alle Welt bringen wollt, noch mehr verkörpert?

Andreas: 

Hmmm… Eigentlich bleiben da nur wir selber übrig.

Jürgen: 

Warum denn „nur“ ? Das ist doch das Wichtigste, ihr seid doch das Wichtigste! Was könnte uns Besseres passieren, als dass ihr für uns zum Segen werdet; dass du ein Segen bist für mich.

Andreas: 

Oder du für mich? Oder Sie für uns? Oder wir alle füreinander? Jede und jeder von uns hat die Möglichkeit, für den anderen zum Segen zu werden. Dieser Auftrag verbindet uns als Christen – über alle Gräben hinweg. 

 

Predigt

Jürgen: 

Was für ein gewaltiges Lied. Mit Begeisterung habe ich es als Jugendlicher auf der Gitarre gespielt. O.k., das ist 45 Jahre her und klang nicht annähernd so schön, wie durch unseren Chor hier. Und begriffen habe ich damals noch überhaupt, was für eine wunderschöne und fast übermenschliche Zusage darinnen steckt: „Wenn es bei dir drunter und drüber geht, ich will für dich die Brücke sein – über das ganze Chaos, über alles, was dich aufregt, runterzieht, durcheinanderbringt. Selbst wenn du deine Freunde verloren hast und am Ende bist, ich werde für dich wie eine Brücke sein, die dich über all diesen Mist hinüberträgt.“ Was für eine Liebeserklärung. Liebe Christine – so heißt meine Frau und sie ist hier – ich glaube, ich habe nicht auch nur annähernd so etwas Großes zu dir gesagt.

Andreas: 

Vielleicht sagst du solche Worte aus gutem Grund nicht. Weil sie für ein Versprechen zwischen Menschen einfach ein paar Nummern zu groß sind? Wunderschön, keine Frage. Aber wer kann das schon halten? Ja, wir versuchen es. Aber dann merken wir schon auch, dass die Brücken, die wir bauen, doch ziemlich wacklig sind. Und manchmal schaffen wir es auch überhaupt nicht, Brücken zu schlagen. Dennoch: In unserem Leben geht es immer wieder um das Brückenbauen: Zwischen Mensch und Mensch, zwischen Mensch und Gott.

Jürgen: 

Brückenbauer over troubled waters: Jesus überbrückte den Gap zwischen Himmel und Erde. Ich sage nur: Bethlehem, Heilige Nacht. Später baute er Brücken zwischen den Angesehenen und denen, die keiner sehen wollte – wie die Zöllner. Er baute Brücken zwischen denen, die ihm Nägel ins Fleisch trieben und seinem Vater im Himmel: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ 

Brückenbauer over troubled waters, like a bridge, I will lay me down – das war ja gewissermaßen Jesu Lebensmotto.

Andreas: 

Ohne diesen Geist wären wir jetzt nicht hier! Das ist der Geist, der uns als Kirche und Kirchen inspiriert und inspirieren MUSS – zumindest, wenn wir Kirche Jesu Christi sein wollen. Jesus war ein Brückenbauer! Und wenn man so will: Es ist auch sein Auftrag an uns: 

Ich beschwöre euch: Seid Brückenbauer!

Jürgen: 

Διαμαρτύρομαι: Ich rufe Gott und Menschen zu Zeugen an. Ich beschwöre dich. So beginnt der Abschnitt in der Bibel, den der Kirchentag für uns herausgesucht hat.

Ich beschwöre dich! Hier geht es um alles – oder soll ich sagen: Hier geht es um die kleinen und um die ganz großen Brücken zwischen Himmel und Erde.

Die englische Bibel macht die gewaltige Dimension dieses Auftrags vielleicht noch deutlicher als die deutsche Fassung: „In the presence of God and Jesus Christ.“ Das ist ganz großer Horizont für unseren Auftrag, Brücken zu bauen. 

Ob ich diesen Auftrag annehme oder nicht, ob ich Brücken baue oder nicht, macht etwas mit der Geschichte Gottes mit dieser Welt. Die göttliche Geschichte braucht es, dass du den Geist Jesu verkörperst und bezeugst: 

  • Es kommt auf deine Rede an! 
  • Das Reich Gottes lebt davon, dass du das, was es von Jesus Christus zu sagen und zu bezeugen gibt, verkörperst!
  • Das Miteinander zwischen Katholiken und Evangelischen und überhaupt das Miteinander der Religionen, das Füreinander von Nord und Süd, das gemeinsame Leben zwischen Ost und West braucht es, dass du Brücken baust und zur Brücke wirst wie Jesus Christus. 

„How dare you not to proclaim this spirit!“ 

(zu Andreas gewandt) 'was Besseres ist mir nicht eingefallen, um diese Dimension und das „Ich beschwöre dich angesichts von Gottes Königreich“ auf den Punkt zu bringen.

Andreas: 

Ist schon gut, zum Glück muss dich gerade ja niemand mehr beschwören, Gottes Geist zu bezeugen.

Jürgen:

Mir ist einfach dieser Auftrag und der Hintergrund dazu ganz wichtig. Kein: Ich „beschwere“ dich! Nein, keine Last, die uns beschwert, sondern der Auftrag schlechthin – und ein bisschen Flair von James Bond: „Im Auftrag unserer Majestät.“ Seines Königreichs. 

Aber vielleicht müssen wir jetzt etwas konkreter werden, was das heißt im Auftrag unserer Majestät und in seinem Geist Brückenbauer zu sein.

Da steht ja in unserem Bibelwort eine enorme To-Do-Liste:

  • Verkündige das Wort, 
  • tritt dafür ein, 
  • widerlege, 
  • tadle.

So zumindest nach der Züricher Bibelübersetzung.

Andreas: 

Und wenn wir die anderen Übersetzungen noch dazu nehmen, wird die To-Do-Liste noch länger:

  • Weise zurecht, 
  • drohe, 
  • ermahne,
  • überführe,
  • ermutige,
  • sprich Verfehlungen an,
  • tadle,
  • ermahne in beharrlicher Belehrung,
  • beurteile kritisch,
  • prüfe genau,
  • Sei streng. Sei ehrlich. Mache den Menschen Mut.

Wie soll ich denn mit diesem Staccato zum Brückenbauer werden? Das ist eine einzige Ansammlung von Befehlen. Zudem kein angenehmer Job.

Ich habe da auch dieses unangenehme Bild des erhobenen Zeigefingers im Sinn. Solche Menschen, die zu allem ihren Senf geben müssen, die allen anderen erzählen müssen, was richtig und was falsch ist. Die die Weisheit mit dem Löffel gefressen haben und sich deshalb auch ohne mit der Wimper zu zucken ganz schnell auf das Podest des moralisch Lauteren (oder: Besserwissers) stellen. Denn „wir wissen ja, wie's geht und was richtig und was falsch ist.“ 

Soll ein erhobener Zeigefinger Inbegriff unseres Christseins sein? Nein danke. Erhobene Zeigefinger haben noch selten Segen gespendet. 

Jürgen:

Ich könnte doch ein viel besserer Brückenbauer werden, wenn ich den Menschen Lust darauf mache, also „die Ohren kitzle“, wie es in der Lesung heißt. Wir haben so eine wunderbare Botschaft von Jesus, dem Brückenbauer und wie er auf jeden Menschen als Gottes Ebenbild zugegangen ist. 

Andreas:

Genau das ist der Knackpunkt. Jesus hat den Menschen nicht nur vom Brückenbauen erzählt. Er hat sie selber gebaut. Er hat den Worten Taten folgen lassen. Und auch wenn es erst mal widersinnig klingt: Gerade deshalb konnte er neue Brücken für Menschen bauen, weil es eben nicht immer allen in den Ohren gekitzelt, was er gesagt hat. Und es war ihm auch vollkommen egal, ob es den Wichtigen oder Mächtigen oder dem Mainstream gepasst hat. 

Jesus ist dazwischengegangen, wenn Menschen hinten angestellt wurden: 

Bei den Kindern, die man nicht nach vorne lassen wolle, oder bei dem Zöllner, der auf einen Baum klettern muss, um ihn zu sehen, oder am Teich Bethesda bei dem, der immer zu spät kam, wenn die Heilquelle gerade mal wieder aktiv war. 

Oder wenn die andere Religion verteufelt wurde, wie beim Barmherzigen Samariter, dessen Religion ja als eine gefährliche Entstellung des wahren Glaubens an Gott galt.

Jürgen:

Die Ohren kitzeln – das ist nicht unser Auftrag. Den Menschen das erzählen, was sie hören wollen, mag im harmlosesten Fall einfach nur bequem sein. Im schlimmsten Fall aber kommt das heraus, was wir Fake News nennen. Eine ganze Industrie hat sich darauf spezialisiert. Ich erzähle bewusst ein altes Beispiel: Da wurde vor dem ersten Golfkrieg nach einem Kriegsgrund gegen Saddam Hussein gesucht – und dann hat man das, was alle hören wollten, angeblich gefunden: Saddam Hussein steht kurz davor Giftgas einzusetzen. Die Fake News wurden propagiert und die westliche Welt hat den Krieg gutgeheißen. Nicht anders agiert Putin mit seinen Medien.

Wo andere die Brücken zwischen Menschen und zwischen Völkern zerstören, da braucht es die, die gegen alle Widerstände dazwischen gehen, aufklären, wie die russische Journalistin Marina Owsjannikowa. Die Journalistin hat am 14. März 2022 ein Schild in der russischen Fernseh-Nachrichtensendung hineingehalten, dass alles Lüge sei, was Putin über den Krieg behaupte. Sie bezeugt den Geist der Wahrheit und des Friedens. Das ist Jesu Geist, ob sie an Jesus glaubt oder nicht.

Andreas:

Sie wusste, was die Menschen JETZT hören müssen. Das war genau das Gegenteil von Ohrenkitzel. 

Jürgen: 

JETZT! 

Andreas:

Ja, JETZT.

Du hast dazu ja ein Bild gemalt. Wir sehen es auf dem Programmblatt. Ich sehe: Auf dem Zifferblatt steht statt der Zahlen JETZT. Und durch dieses Zifferblatt hindurch blickt man auf unser Leben, unsere Welt.

Jürgen:

Und die Zeiger sind golden, auch im Zifferblatt taucht immer wieder das GOLD als Farbe für Gottes Gegenwart auf. So möchte ich die Zeit lesen. Nie Unzeit; immer Zeit von Gottes GOLD durchwirkt. So möchte ich das Leben anschauen – durch Gottes JETZT hindurch – auch die Zeiten, die wir für Unzeiten halten.

„Jetzt ist die Zeit für das Brückenbauen im Geiste Jesu“; um 8 Minuten vor 4 – oder eben jetzt um (11.35 Uhr)

Andreas:

Keine Angst. Deinem Bild passiert nichts. Aber anders gesagt: wenn wir jetzt da aus dem Zifferblatt so Tortenstücke herausschneiden würden Und dann das Bild hochheben… und durchschauen. Dann haben wir doch genau die Schablone, die uns unsere Bibelstelle mitgibt: Schau jetzt auf deine Welt. Nicht irgendwo, nicht theoretisch. Da, wo du stehst. Und mach das, was jetzt und sag das, was jetzt nötig ist.

Jürgen:

Und was würde das bei dir verändern? Genau, was würde bei dir am Montag nach dem Kirchentag dadurch anders laufen?

Andreas:

Es könnte doch sein, dass ich am Montag mit genau dieser Schablone auf die Menschen schaue, die ich sosnt nur im Augenwinkel wahrnehme, wenn überhaupt. Vielleicht die Frau, die den Straßenkreuzer verkauft, vielleicht die Bettler in der Bahnhofsunterführung. Und es könnte doch sein, dass mir genau diese Schablone klar macht: Beim Einsatz für die gesunde Lehre kommt es nicht auf theologische Spitzfindkeiten und Grabenkämpfen an. Die gesunde Lehre fängt erst mal da an, wo ich dem Menschen, dem ich begegne, dazu verhelfe, dass er die Würde bekommt, die ihm zusteht, weil er wie ich ein Kind Gottes ist.

Jürgen:

Ich möchte durch dieses JETZT Gottes meine Bürotür anschauen: Alles, was da läuft – an Besprechungen, an Planungen steht unter diesem goldenen JETZT. Wenn ich nach Hause komme, auch dies möchte ich durch dieses JETZT ansehen, jede Begegnung, auch die Erholung und das Feiern. Und wenn ich zum Tanztraining gehe genauso. Dort ist das JETZT Gottes. Freilich liegen dort die Gräben und Brüche oft nicht obenauf; Menschen geben ja vieles auch nicht preis. Aber wenn sich Gräben und Brüche zeigen, will ich mich fragen: Wie würde Jesus hier Brücken bauen? Welche Brücken würde er bauen zwischen Mensch und Mensch, auch zwischen Gott und Mensch?

Eine Aufgabe ist das nicht. Manche Brücken erreichen nicht die andere Seite. Manche stören auch bewusst das Brückenbauen. Aber unsere Welt lebt davon, dass Menschen Brücken bauen, auch gegen Widerstände – like a bridge over troubled water, I will lay me down – und werde Pontifex minimus.

Andreas:

(grinst) Pontifex minimus – das gefällt mir. Wir nehmen genauso wie der Papst den Titel eines PONITFEX für uns in Anspruch. Aber minimus?

Jürgen:

Naja, ob mein Beitrag große oder kleine Wirkung haben wird, weiß ich doch nicht, aber Brückenbauen will ich. 

Andreas und Jürgen: 

WIR BESCHWÖREN EUCH VOR GOTT UND JESUS CHRISTUS UND DIESEN MENSCHEN: BAUT BRÜCKEN! WERDET PONTIFEX MINIMUS!

Jürgen:

Danke, Andreas, lieber Pontifex!

Andreas:

Selber Pontifex!

Jürgen:

Alle Pontifex, Basta!

Andreas:

Amen.


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